Occupy Art

„General Strike Piece“ nannte die amerikanische Künstlerin Lee Lozano 1969 ihr Werk und erklärte ihren Ausstieg aus der Kunstwelt, in der sie 10 Jahre lang Erfolge gefeiert hatte, mit einer Kunst, die nicht nur gesellschaftskritisch sondern auch extrem kritisch gegenüber dem sogenannten „Kunstbetrieb“ war. Man solle sich selbst und sein Werk ganz der persönlichen und öffentlichen Revolution widmen, heißt es in dem Dokument, welches heute als selbstständiges Kunstwerk gehandelt wird.

Konsequent bis zum Schluss folgte die Künstlerin ihrem eigenen Aufruf und verließ New York und die Kunstszene komplett bis zu ihrem Lebensende 1999.

Eine ebenso radikale wie mutige Entscheidung. Sich als Frau für einen Weg als Künstlerin zu entscheiden braucht Mut und Radikalität. In Zeiten der Postmoderne ist das Werk des Künstlers immer mehr zur Nebensache geworden.

Er muss neben seinem Werk seinen eigenen Mythos und sein eigenes Marketingkonzept mitliefern.  Er erzeugt mit seiner besonderen gelungenen Selbstdarstellung einen Mehrwert zu seinem Werk, der manchmal das Werk sogar ersetzt. Bei dieser Inszenierung der eigenen Künstlerpersönlichkeit spielen natürlich geschlechtsspezifische Vorurteile und allgemeine Projektionen bzw. Erwartungen an Künstler eine Rolle. Die Selbstinszenierung ist aber nicht das unbedingte wesentliche kreative Potential, welches einen besonderen Künstler ausmacht. Ein Werk zu schaffen, dass Bezüge herstellt zu relevanten Prozessen des menschlichen Daseins ist Aufgabe genug und verlangt sehr viel Kraft, Phantasie, Aufmerksamkeit und Reflexion.
Selbstverständlich kann Selbstinszenierung in der Kunst das auch leisten, wenn das die Absicht ist und nicht das Marketinginstrument.
Unabhängig von allen Alltagsproblemen, wie die eigene Existenzsicherung, kostet eine Beschäftigung mit der eigenen perfekten „Selbstinszenierung“ für den Kunstmarkt nicht nur Energie. Sie wird schnell zur Farce wenn die Attitüde durchschimmert und die Anstrengung spürbar wird. In einer Welt, in der jeder als geübter Fernsehzuschauer weiß, wie die Mechanismen der Inszenierung funktionieren, verliert der Künstler, die Künstlerin schnell an Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist die „Scheinwährung“ des Kunstmarktes.

Als Künstler/in in den Kunstmarkt einzusteigen und sich einzubilden man könne die Spielregeln selbst gestalten, sich verweigern und seinen „eigenen“ Weg erfolgreich gehen ist eine Illusion. Galerien, Museen, Kuratoren, Sammler, Spekulanten etc. bestimmen mit Rankinglisten die Regeln des Erfolgs, verlangen aber dass man diese absolut glaubwürdig befolgt: Sei ein Mythos, aber sei Du selbst (und mache nebenbei „gute“ Kunst)!

Wenn man einen gesellschaftskritischen Anspruch an sich selbst stellt und seine Werke nicht den Prinzipien des aberwitzigen Wettbewerbs eines profitgeilen Marktes ausliefern will, in denen Galeristen immer mehr zu Zuhältern degenerieren, ja was dann? Welche Alternativen hat eine Künstlerin zu einem marktkonformen Kunstbetrieb mit seinen Primär-, Sekundär- und Tertiär-Märkten; sich in das beschauliche Milieu der heimischen Kunstvereine zurück ziehen? Kunst im Verein – mir gruselt‘s!

Occupy Art – die einzige Alternative?

In diesen Zeiten des Wandels und des Aufruhrs entstehen neue künstlerische Ausdrucksformen ganz nebenbei und wie zufällig. Occupy ist vielleicht die soziale Plastik von der Joseph Beuys geträumt hat. Mit Flash Mobs, Performances, Zeltstädten, Straßentheater etc. beweist Occupy die These Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Will sagen, jeder Mensch hat gestalterisches Potential und kann auf seine Umgebung kreativ einwirken, hin zu aktiver Gestaltung der eigenen und allgemeinen Lebensumstände, weg vom reinen Konsumentendasein.

Als Künstler in diesen Wandel einzutauchen ohne seine Stellung gezielt in einer Avantgarde zu suchen, sich in die Revolution einzuordnen mit all seinem kreativen Potential sich einzubringen in die Gruppendynamiken des Protests einer innovativen Bewegung, das scheint mir im Moment der einzig gangbare Weg. Auch das fordert Kraft, Phantasie und eine Portion Demut.
Bis jetzt sind es wenige Künstler, die diesen Weg gehen. Die Vermutung liegt nahe, man würde womöglich eine Erfolglosigkeit kompensieren oder sein Image als „Gutmensch“-Künstler aufpolieren wollen. 
Im Internet findet man mehrere Occupy Art Seiten in den USA, wie zum Beispiel: Occupy Art Basel. Künstler und Künstlerinnen in Miami haben sich dem Thema Protest in der Kunst gewidmet nach dem Motto: Wir sind die 99 %.

Auf Ihrer Homepage beschreiben sie sich wie folgt:

„Wir repräsentieren die Menschen, die sich kaum die Eintrittskarten für die Art Basel leisten können um die ausgestellte Kunst zu sehen, geschweige denn einen Preisvorschlag zu machen für das Werk, das ihnen am meisten gefällt. Wir sind die 99 % die sich diese Kunst nicht leisten können. Wir sind die Leute, die diese Kunst transportieren, installieren, verpacken, aufbauen hinter den Theken sitzen und die Kunst verkaufen für unsere Bosse. Wir sind die unzähligen Künstler, die es nicht in die Art Basel geschafft haben, in den Kunstmarkt in dem Kunst zur Ware wird. Wir sind die unzähligen Handwerker, die helfen diese Kunst herzustellen oder exklusiv als Assistenten für Künstler nach ihren Angaben die Werke produzieren. Wir sind die unzähligen Kunstliebhaber, die über Kunst lesen, Kunst studieren, Kunst bewundern, Kunst immer in unserer Umgebung brauchen und nicht das Geld haben um großartige Kunst zu besitzen.“

Mit Ihren subversiven Plakaten besetzen sie öffentliche Räume und erfinden Aktionen an Nebenschauplätzen der offiziellen Kunstorte.

Occupy Art ist mehr als alternative Räume, sogenannte Off-Spaces zu erobern.
Occupy Art ist eine Haltung zur Kunst: Kunst ohne Markt!

Kunst ohne Markt neu zu denken, das ist die große Herausforderung an den Künstler und seine Fähigkeit zur Kreativität und Reflexion und an seine Fähigkeit Wege zu finden seine Kunst wirksam werden zu lassen. Das verlangt viel – aber es liegt eine große Chance in dieser Kunst. Sie kann etwas tun, das in der Welt der Kunstware unterzugehen droht. Occupy Art kann bewegen. Occupy Art ist relevant.

Der Artikel wurde 2012 in der Onlineausgabe der Wochenzeitung „Der Freitag“ publiziert

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