Liebe Mitmenschen,
ich bin Aktive bei AUFSTEHEN GEGEN RASSISMUS und dem ANTIRASSIMUSTELEFON Essen.
Das Antirassismustelefon1 gibt es in diesem Jahr seit 25 Jahren in Essen.
Hauptsächlich ehrenamtliche Mitarbeiter*innen beraten Betroffene von Alltags- oder institutionellem Rassismus. Es ist eine unabhängige Einrichtung von Essener Bürgerinnen und Bürgern, die gegen rassistisch-faschistische Entwicklungen und für das gleichberechtigte Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen aktiv sind.
Ich stehe hier auch als Person, deren Familie hier aus Steele kommt.
Auch deshalb fühle ich mich hier und heute verantwortlich bei lautem Protest dabei zu sein.
Mein Name ist Anabel Jujol Hoppen.
Kein Doppelname weil ich verheiratet bin, sondern weil meine holländische Mutter eine spanischen Einwanderer geheiratet hat, was zu solchen langen Namen führt.
Die Familie Hoppen war eine
große, kinderreiche Arbeiter*innenfamilie in Steele. Mein holländischer
Urgroßvater Hoppen war als Migrant aus Holland gekommen und hatte 9 Kinder.
Fast alle arbeiteten schon von Kindesbeinen an in der Glashütte Wisthoff .
Alle haben die NS Zeit überlebt, aber, was viel wichtiger ist, fast alle haben
diese Zeit hier in Steele verbracht und mussten, Gott sei Dank, nicht zur
Wehrmacht, wegen Ihrer holländischen Pässe.
Mein Opa, der 2012 mit 94
Jahren gestorben ist, hat eindrucksvolle Geschichten erzählt, davon, wie er die
NS Zeit und die Kriegsjahre hier in Steele erlebt hat:
Von der Nachbarin mit Parteibuch, die ihre Mitbewohnerinnen schikaniert und
denunziert hat, weil sie sogenannte Vierteljuden waren.
Von Freunden, Kegelbrüdern, die nach Rechts rückten und davon, dass alle Männer
auf seinem Hochzeitsfoto außer ihm, im Krieg gestorben sind, auch der 19
jährige Bruder Alfred meiner deutschen Oma.
Eine Geschichte hat mich als
besonders traurig beeindruckt:
Eines Tages wurde mein Opa als jugendlicher Mann Zeuge, als eine kahlrasierte Frau
in einem Karren durch Steele gezogen wurde – von grölenden NS-Männern. Sie war
halbnackt und trug ein Schild um den Hals, erzählte mein Großvater: „Diese
deutsche Frau schlief mit einer Judensau!“
Voller Angst und Scham hätte er sich in einem Hauseingang versteckt, berichtete
er.
Die „Steeler Jungs“ laufen hier, heute und jeden Donnerstag anknüpfend an solche grauenvollen Traditionen.
Aus der Verbreitung von Angst und Schrecken ziehen sie ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl.
Ein trauriges Leben.
Für Menschen, die wegen beliebiger Merkmale in das „Beuteschema“ dieser faschistoiden Personen passen, ist das ein untragbarer Zustand, dass sie sich womöglich, nicht nur jeden Donnerstag, in Hauseingängen verstecken müssen. Dass 2019 Menschen wieder Angst haben müssen, vor rassistischer Gewalt in Steele und anderswo, ist unerträglich. Dass Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind, aber solidarisch sind oder unfreiwillig zu Zeugen werden, ebenso Angst haben sollen und müssen ist nicht hinnehmbar.
Wer stellt sich dazwischen, wenn ein Steeler Junge die Drohung (auf dem ach so lustigen Karnevalswagen) wahr macht und seine Faust erhebt, gegen die Person, die er für eine Zecke hält?
Verstecken Sie sich auch in einem Hauseingang?
Ich, wir alle hoffentlich,
stehen heute hier gegen die Angst und für den Mut sich Rassismus und
faschistischer Gewalt in den Weg zu stellen.
Solidarisch oder als Betroffene oder Beides.
Wir drehen uns nicht weg und weichen nicht vom Fleck!
Wir sind hier und laut!
Für eine Gegenwart und eine Zukunft in Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit!
ALERTA ALERTA ANTIFASCISTA!
1www.antirassismutelefon-essen.de

Rückblick / Pressemitteilung zur Kundgebung
https://www.facebook.com/notes/aufstehen-gegen-rassismus-essen/tag-gegen-rassismus-hunderte-gegen-steeler-jungs-auf-den-stra%C3%9Fen/839456959755168/